Gelernte Lektionen: Partizipation in der Praxis

Spätestens seit "Stuttgart 21" stehen Entwicklungsprojekte in zunehmendem Maße im Fokus der kritischen Öffentlichkeit. Über veränderte Herausforderungen bei Beteiligungsprozessen in Stadtentwicklung und Planung können Sie nachlesen im folgenden Artikel zum Thema Partizipation von Dr. Ursula Flecken, Vorstandsvorsitzende der Planergemeinschaft Kohlbrenner eG.

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Gelernte Lektionen: Partizipation in der Praxis
Dr. Ursula Flecken

Seit den 1970er Jahren bemüht sich die Stadtplanerschaft, Bürgerinnen und Bürger an Stadtentwicklungsprozessen in der Bundesrepublik zu beteiligen. Dies über die Jahre hinweg in zunehmendem Maße und mit immer ausgefeilteren Methoden. In jüngerer Zeit sind die Herausforderungen rapide gewachsen, als einschneidendes Ereignis gilt "Stuttgart 21". Stadtentwicklung und Planung stehen stärker als vorher im öffentlichen Fokus. Es gibt kaum noch Entwicklungsprojekte, die nicht kritisch durch die Öffentlichkeit diskutiert wer-den, dabei handelt es sich sowohl um Großprojekte als auch um kleinere Projekte, wie die Schließung einer Baulücke.
"Gelernte Lektionen" in der Partizipationspraxis will sagen, man hat uns StadtplanerInnen Lektionen erteilt. Der folgende Text ist eine sehr persönliche Einschätzung zur Situation und zugleich ein Plädoyer für mehr Mut zur Partizipation.
Uns beschäftigen vor allem die Bürger, die mit der bisherigen Partizipation nicht mehr einverstanden sind, - und dafür sind wir ihnen dankbar! Wir müssen dazu lernen. Die "Wutbürger" machen es mehr als deutlich! Warum sind BürgerInnen über Planungsprojekte wütend, warum misstrauisch, warum "dagegen"? Vielleicht, weil bisherige Beteiligung fehlt, unzureichend oder einfach schlecht ist? Vielleicht auch nur deshalb, weil sie das Gefühl haben, unzureichend informiert zu werden und nicht als Akteure ernst genommen zu werden? Was auch immer für Gründe gegeben sind, klar ist, dass etwas verbessert werden muss!
Im Folgenden möchte ich darstellen, was grundlegende Anforderungen an Bürgerbeteiligungen sein sollten.
Die erste Anforderung stellt sich im Vorfeld einer Beteiligung: Es muss klar und ehrlich definiert werden, welches Ziel mit der Beteiligung verfolgt wird. Man kann dabei drei Stufen unterscheiden: Information, Dialog und Mitwirkung. Sollen die Bürgerinnen und Bürger "nur" informiert werden, oder sollen sie bei Planungen mitdiskutieren oder gar mitbestimmen?
Information ist auch schon ein wichtiger Schritt, wenn wirklich alle bedeutenden Informationen vermittelt und erklärt werden, wenn keine zurückgehalten werden. Dazu gehört auch zu vermitteln, dass Planung ein Prozess ist und dass in den seltensten Fällen präsentierte Pläne genau so umgesetzt werden. Je mehr Informationen an die Bürgerinnen und Bürgern gegeben werden, desto eher sind sie in die Lage, eine Situation nicht nur aus der eigenen Perspektive heraus zu verstehen und zu beurteilen, sondern aus einer vielschichtigen. Letztendlich sollte das Ziel sein, dass Bürgerinnen und Bürger weniger ihre persönlichen Interessen einbringen, sondern eher solche, die mehr im Sinne des Allgemeinwohls sind.
Bei der zweiten Stufe der Beteiligung geht es darum, dass Verantwortliche und Bürgerinnen und Bürger in einen Dialog treten. Das heißt, dass nicht nur Bürgerfragen durch Verantwortliche beantwortet werden, sondern dass Sichten und Positionen ausgetauscht werden. Die Bereitschaft zum Zuhören, Nachdenken und ggf. von seiner eigenen Position abzuweichen, gehört bei einem gleichberechtigten Dialog dazu. Bevor also ein Dialog als Beteiligungsform angeboten wird, müssen sich die Verantwortlichen dazu bekennen, dass Bürgermeinungen auch zu einer Änderung der bisherigen Überlegungen führen könnten.
Die dritte Stufe der Beteiligung umfasst die Mitwirkung. Hier werden Bürge-rinnen und Bürger aufgefordert, sich mit eigenen Vorstellungen und Ideen einzubringen. Oft handelt es sich bei Mitwirkungsformaten um mehrstündige oder gar mehrtägige Verfahren (Workshops, Charrettes, Planungszelle etc.), an die Bürger allein schon deshalb hohe Erwartungen haben, weil sie dafür viel Zeit aufbringen müssen. Hier ist es umso wichtiger, dass sichergestellt wird, dass und wie die Beiträge der Bürger in den Planungsprozess einfließen.
Ich komme noch einmal auf die erste Anforderung an Partizipation zurück, näm-lich das Ziel einer Beteiligung ehrlich zu definieren: Was bezweckt man mit der Beteiligung? Will man informieren, will man in einen Dialog treten oder will man, dass Bürgerinnen und Bürger mitwirken? Verantwortliche sollen sich im Vorfeld einer Beteiligung die Frage stellen, ob sie wirklich "Bürgerbeteiligung" wollen, ob sie bereit sind, Bürgerpositionen und -anregungen in den Planungsprozess einfließen zu lassen, sich irritieren zu lassen und Änderungen vorzunehmen. Der Bürgerbeteiligung gegenüber steht das "Akzeptanzmanagement", sich also in sogenannten "Bürgerbeteiligungen" nur das Einverständnis der Bürger zu der Planung einzuholen, die man sowieso verfolgt. Solche Verfahren verdienen mit Nichten das Wort Bürgerbeteiligung!
Ausgehend davon, dass das ehrlich definierte Ziel wirklich Bürgerbeteiligung ist, ist es mir wichtig, dass begonnene Beteiligungsprozesse fortgeführt werden. Dazu gehört die zweite grundlegende Anforderung an Partizipation, die ich hier kurz erläutern möchte. Es geht darum, dass Entscheidungen im Nachgang einer Bürgerbeteiligung ehrlich rückgekoppelt werden. Wie sind die Anregungen der Bürgerinnen und Bürger eingeflossen? Was ist eingeflossen, warum ist es eingeflossen? Was ist nicht eingeflossen, warum nicht? Es lohnt sich, dies den zuvor Beteiligten zu erläutern, ihnen das Für und Wider einer Position oder Anregung zu vermitteln. Dazu gehört auch der Versuch zu erklären, dass Planung im besten Fall danach strebt, im Sinne des Gemeinwohls zu handeln. Manchmal sind die Entscheidungen über Planungsgegenstände, die es rückzukoppeln gilt, nicht solche, die auf Bürgeranregungen basieren. Folglich ist es "unbequem", solche Entscheidungen zu vermitteln. Auch hier ist Ehrlichkeit wieder eine wichtige Voraussetzung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Planungsverantwortlichen und den Bürgerinnen und Bürgern.

Die dritte grundlegende Anforderung an Bürgerbeteiligung sollte sein, dass Planungsentscheidungen auch verantwortet werden. Hierbei sind Planungs-akteure (Verwaltung, beauftragte Büros usw.) zunehmend darauf angewiesen, dass die Entscheidungsträger, - die Politik, zu getroffenen Entscheidungen steht. Die Politik sollte sich frühzeitig in Planungsprozesse einbringen. Sie sollte daran interessiert sein, wie und was "der Bürger" denkt. Umgekehrt haben die Bürgerinnen und Bürger das Recht, dass ihre Meinung auch von denjenigen gehört wird, die die Entscheidungen treffen. Deshalb muss eine Forderung sein, dass Bürgerbeteiligung immer mit Präsenz der Entscheidungsträger stattfindet.

Zusammenfassend seien hier noch einmal die drei oben erläuterten Anforderungen an Bürgerbeteiligung aufgeführt:
- Das Ziel von Bürgerbeteiligung ehrlich definieren.
- Entscheidungen in Planungsprozessen ehrlich rückkoppeln.
- Entscheidungen verantworten.

Diese Anforderungen zu berücksichtigen wäre schon ein guter Beginn!

Quellenangabe: Flecken, Ursula (2014): Gelernte Lektionen: Partizipation in der Praxis. In: Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung (Hg.): Beiträge zu einer ökologischen Moderne, S. 328 - 330. Berlin